Weltwoche Editorial 17/20

Editorial

Der Spuk muss ein Ende haben

Von Roger Köppel

Ist der Shutdown der teuerste Fehlschlag aller Zeiten? Indizien mehren sich.

K

ann es sein, dass der bundesrätliche Corona- Kurs ein tragischer Irrweg ist? Das Resultat einer medial-epidemiologisch befeuerten Politpanik, die Milliarden an Volksvermögen vernichtet und künftige Generationen auf Jahrzehnte hinaus belastet? Wird der Corona-Frühling 2020 in die Geschichte eingehen als massenpsychologisches Hysteriephänomen, das mehr Existenzen ruiniert als die Krankheit, die allerdings ganzen Gesellschaften und ihren Regierungen vorübergehend den Verstand raubte?

Die Zahlen lassen diesen Schluss zumindest nicht als vollkommen abwegig erscheinen. Schauen wir auf die Schweiz. Die Katastrophe ist ausgeblieben. Die Horrorszenarien traten nicht ein. Noch im Februar jonglierten Forscher wie Adriano Aguzzi vom Universitätsspital Zürich mit Worst-Case-Modellen von mittelfristig bis zu 60 000 Corona-Toten. Richard Neher von der Universität Basel drohte mit 100 000 Opfern. Werden sich diese Wissenschaftler jemals für ihre Angstmacher-Diagnosen verantworten müssen?

Nichts von dem, was befürchtet und in Aussicht gestellt wurde, trat ein. Die Spitäler stiessen nicht an ihre Grenzen. Die Ansteckungskurven flachen seit Wochen ab. Nicht einmal in den Altersheimen kam es zum Ernstfall. Aus dem Tessin berichten Betreiber von tieferen Sterblichkeitsraten als in früheren Jahren. Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich meldet, dass es selbst dort, wo Risikogruppen vom Virus befallen wurden, viele milde Verläufe zum Teil ohne Symptome gab. Zahlreiche Intensivstationen stehen leer.

Noch immer herrscht Verwirrung über grundlegende Daten. Ob jemand mit oder an Coronaviren gestorben ist, weisen die Bundesbehörden gar nicht aus. Sie nehmen einfach alle Fälle, die «in Zusammenhang mit» einer Corona-Infektion gestorben seien, in die Statistik der Corona-Toten auf. Die Wortwahl ist ein Skandal der Ungenauigkeit für sich. Das Bundesamt für Gesundheit schreibt auf Anfrage der Weltwoche: «Mit den Daten, die uns zur Verfügung gestellt werden, sind wir nicht in der Lage, zwischen mit oder an Sars-CoV-2 gestorben zu unterscheiden.» Präzise Obduktionen gibt es kaum.

Doch selbst die durch Unschärfe aufgeblähten Todesstatistiken sind weniger schlimm, als katastrophensüchtige Medien seit Wochen berichten. Bei der letzten grossen Grippewelle 2015 starben in der Schweiz rund 2500 Menschen. Die Corona-Pandemie hat bis jetzt 1200 Opfer gefordert, die meisten hochbetagt mit mehreren Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder starkes Übergewicht.

Sterben derzeit in der Schweiz mehr Menschen als in früheren Jahren? Die saisonale «Übersterblichkeit» bei den mindestens 65-Jährigen lag vom 1. bis zum 12. April ganz leicht über dem April-Peak der 2015er Grippe. Inzwischen zeigt die Kurve wieder steil nach unten. Bei den unter 65-Jährigen bewegt sich die Sterblichkeit in der erwarteten Bandbreite früherer Jahre ohne Grippepandemie.

Der Bundesrat rühmt sich, seine Massnahmen hätten das Unheil verhindert. Er muss das sagen angesichts der gigantischen volkswirtschaftlichen Schäden. Die Selbstbeweihräucherung wird durch Fakten aber nicht gedeckt. Daten der ETH belegen sinkende Infektionszahlen vor dem Shutdown-Beginn am 16. März. Einen ähnlichen Kurvenverlauf weist das Robert-Koch-Institut für Deutschland aus. Die Stilllegung von Wirtschaft und Gesellschaft zeigt nach diesen Grafiken kaum Wirkung. Nach der ersten Abflachung vor dem Shutdown pendeln sich die Infektionen und als Folge auch die Zahl der Todesfälle auf gleichbleibend tiefem Niveau ein.

War der Shutdown ein grotesker Irrtum, eine kollektive Überreaktion der Angst? Der schwedische Epidemiologe Professor Johan Giesecke sagt in dieser Ausgabe, dass am Ende alle Länder ungefähr gleich viele Corona-Verstorbene pro Kopf der Bevölkerung verzeichnen würden – unabhängig von den Massnahmen, die ihre Regierungen getroffen hätten. Man könne die Naturgewalt einer Pandemie nicht stoppen, man könne sie nur «managen», und Schweden versuche einfach, eine Strategie zu fahren, die den Risikogruppen grösstmöglichen Schutz gewähre, ohne die Wirtschaft komplett an die Wand zu fahren.

Natürlich ist die Schweiz keine Diktatur. Aber sie ist auf dem Weg dazu. Das Epidemiengesetz von 2013 gibt dem Bundesrat erhebliche Vollmachten.

Dass er sie angesichts eines neuartigen, schnell streuenden Erregers anwendet, ist kein Verbrechen. Doch Notstandsmassnahmen müssen tauglich, notwendig und so milde sein wie möglich. So argumentieren Verfassungsrechtler. Sollte sich herausstellen, dass der Shutdown weder tauglich noch notwendig und schon gar nicht so milde wie möglich gewesen ist, hat die Regierung missbräuchlich gehandelt. Die von den Medien bejubelte Strategie des Bundesrats wäre, um es vorsichtig auszudrücken, ein kostspieliger historischer Fehlschlag, für den allerdings die Politiker und ihre journalistischen Lobredner kaum haften werden.

Widerstand regt sich. Immer mehr Kritiker bezweifeln die Weisheit einer Strategie, die 80jährige Risikopatienten unter die gleiche Quarantäne stellt wie Kinder mit Null oder 45Jährige mit 0,02 Prozent Sterbe-Risiko durch Covid-19. Warum lässt man sie nicht arbeiten? Der Bundesrat scheint gewillt, für die Gesundheit Weniger die Existenz aller aufs Spiel zu setzen.

Wie weiter? Der Druck auf die Regierung steigt. Die Linke will den Shutdown verlängern. Die Bürgerlichen halten dagegen. Im Gewerbe rumort es merklich. Die Ungleichbehandlung der Branchen löst Empörung aus. Die Gastronomen grollen, weil die stolz besoldeten Strategen des Bundes sie einfach vergessen haben. Niemand versteht, warum Tattoo- Studios öffnen dürfen, Tennisplätze und Primarschulen aber geschlossen bleiben. Viele Unternehmer empfinden es als Affront, dass sie den Behörden zuerst ein Sicherheitskonzept vorlegen müssen, ehe sie wieder geschäften dürfen.

Nicht die unsichtbare Hand des Marktes, die Eisenklaue des Staates regiert die Schweiz. Mutwillig vernichtet der Bundesrat Milliarden. Das kann nicht dauern. Die Zahlen sind deutlich. Der Spuk muss ein Ende haben.

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